Interview für Bio

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Wie sind Sie zur spirituellen Lehrerin geworden?

Es war nie mein Ziel, spirituelle Lehrerin zu werden. Und wenn ich es als Ziel gehabt hätte, wäre ich es nicht. Das ist ja kein Beruf in dem Sinn, nichts, was man sich vornimmt irgendwann zu machen. Ich würde sagen, es hat sich für mich so ergeben.

Wie war das Erwachen? Wie war das Leben vorher? Wie ist es jetzt?

Es gibt tatsächlich einen Punkt in meinem Leben an dem eine grundsätzliche Veränderung passiert ist. Wie man diesen Punkt jetzt nennt, ist im Grunde unerheblich. Ich mag die Begriffe wie Erwachen und Erleuchtung inzwischen gar nicht mehr. Ich kann diesen Zeitpunkt, an dem die Dinge nicht mehr waren wie zuvor, rückblickend genau definieren. Und das ist in den ganzen Jahren, es sind nun ca. neun,  stabil geblieben, hat sich nicht mehr verändert. Was sich durch diese Umwandlung verändert hat, ist ein grundsätzlicher Zugang, der permanent da ist, zu einem von äußeren und inneren Umständen unabhängigen Glück. Es ist permanent da, egal, was sich sonst tut. Gleichzeitig gibt es aber in meinem Leben Hochs und Tiefs, Zeiten von Freude und Schmerz. Es ist mir wichtig, dies zu sagen: Es geht nicht darum, dass man immer glücklich ist, denn so ist das Leben einfach nicht. Aber manche Empfindungen werden nicht mehr ausgelöst, sie funktionieren einfach nicht mehr: Zorn, Neid, Eifersucht z. B. Und ich war in Situationen, wo diese Gefühle nach normalem Empfinden eigentlich angebracht gewesen wären. Manchmal habe ich mich etwas hilflos gefühlt, wusste nicht, was jetzt zu tun wäre. Die alten Programme haben einfach nicht mehr funktioniert. Und ich habe festgestellt, dass es auch ohne sie geht.

Ist das denn so einfach?

Nein, nicht immer. Es gibt viele komische Vorstellungen, wie das denn so wäre, wenn man erwacht. Ich kann über meine innere Wandlung berichten, das ist alles. Und wie ich sie erlebt habe. Aber ich bin weder hellsichtig noch weiß ich alles, noch bin ich perfekt und fehlerlos. Alles das bin ich nicht und will es auch gar nicht sein. Es geht nicht um ein anderes Wahrnehmen. Schmerzen sind genauso unangenehm wie früher, aber

die gewohnte Reaktion, auf das was ist, auf das was geschieht, findet einfach nicht mehr statt. Ich habe diese Erfahrung vor einigen Jahren bei der Trennung von meinem Mann gemacht, mit dem ich lange Jahre glücklich verheiratet war.

Hat dabei Ihr neues Sein eine Rolle gespielt?

Das ist eine sehr schwierige Frage, die ich nicht so einfach beantworten kann. Ich bin in meinem Leben ja in verschiedenen Rollen. Einerseits bin ich Ärztin, habe meine Praxis, behandle Menschen. Dann bin ich aber auch eine spirituelle Lehrerin, und ich bin auch in einer neuen Partnerschaft, in der ich meine Rolle als Frau lebe. Aber tief innen bin ich immer dieselbe. Ich bin immer dieselbe Pyar. Die verschiedenen Rollen meines Daseins kann ich gut vereinbaren. Natürlich erlebe ich verschiedene Situation und Gefühle, aber ich bin weder die Situation noch das Gefühl. Ich konnte in meinem vielfältigen Leben – ich hatte immer viel verschiedene Stränge in meinem Leben gleichzeitig – die einzelnen Bereiche gut zusammenbringen und habe keine Identitätskrise erlebt.

Manche Leute haben gerade damit zu kämpfen, mit der Frage: Wer bin ich eigentlich?

Ja, für viele ist es ein Problem, wenn sie Ihre Identität nicht klar erkennen können, wenn ihnen der rote Faden, die klare Linie im Leben fehlt. Eine gewisse Hierarchie zu haben ist nützlich. Sie kann darin bestehen, zu erkennen, was in meinem Leben das Wichtigste ist, was das Zweitwichtigste etc. Dann kann man die Kräfte entsprechend einsetzen und dadurch gute Resultate erzielen. Meine Priorität ist die Suche nach Gott. Wenn jemand vorhat, Millionär zu werden, muss er das an erste Stelle setzen und dafür kämpfen. Eine Linie zu haben ist wichtig!

Worin besteht Ihre Lehre? Was möchten Sie den Menschen sagen?

Ich möchte sie lehren, wie sie glücklich sein können – jeder für sich. Wie können wir miteinander in einer guten Beziehung stehen? Im kleinen Rahmen der Familie, des Arbeitsplatzes, aber auch im großen Rahmen eines Dorfes, einer Stadt, eines Landes oder des Planeten.

Wie kann man diesen Zustand erreichen?

Es gibt keine Methode, die für alle gilt. Eine Möglichkeit ist z. B., sich Momente des Glücks im eigenen Leben anzuschauen und diese Momente genauer zu untersuchen. Genau hinzuspüren, was da eigentlich war. Man wird herausfinden, dass es bestimmte Umstände zu einer bestimmten Zeit waren. Das kann ein schöner Urlaub oder ein Lottogewinn sein, eine neue Liebe und vieles mehr. Wichtig ist, genau hinzuschauen, ob diese Ereignisse nicht viel mehr ein Auslöser für etwas anderes, also nicht die eigentliche Ursache des Glücks waren. Dieses Hinschauen geschieht durch den wachen Geist. Am besten geschieht das in einem Moment des Glücks. Wenn man z. B. feststellen würde, dass in diesem besonderen Glücksmoment eine größere Entspannung da war als normalerweise, könnte man sagen, dass dies eine Art „Ingredienz“ für das Erleben des Glücks ist: Raum zu schaffen für das innere Erleben ist gewiss ein Schritt in Richtung Glück.

Wie steht es mit der Angst?

Ich unterscheide zwischen verschiedenen Arten von Ängsten. Es gibt eine natürliche Angst, die dem Überleben dient. Sie ist gesund und wichtig. Würde man sie negieren, wäre das lebensgefährlich. Etwas anderes sind Ängste, die einen neurotischen Charakter haben. Manchmal sind sie auch diffus, und man kann nicht mal sagen, wovor man eigentlich Angst hat. Zu den normalen Neurosen, die fast jeder hat, kommen auch Menschen, die wirklich therapeutische Hilfe brauchen. Ich schicke Leute also auch durchaus in die Therapie, damit sie gewisse Themen etwas genauer anschauen. Klaustrophobie z. B. kann man wunderbar behandeln. Grundsätzlich ist es wichtig bei Ängsten innezuhalten und hinzuschauen, ob das, wovor man Angst hat, denn im Moment auch wirklich da ist. Es ist sehr wichtig im Hier und Jetzt, in der Jetzt-Situation zu sein. Manchmal lösen sich Ängste alleine dadurch auf.
Die folgende kleine Geschichte verdeutlicht dies sehr schön.

Der Elefant, der wie Espenlaub zittert – eine Geschichte gegen die Angst

Ein Elefant hatte eine schreckliche Vergangenheit, denn er gehörte einst einem grausamen König, der den Elefanten darauf trainiere, regungslos dazustehen. Die Elefantentreiber hatten ihn festgebunden, und wenn er sich nur ganz wenig bewegte, wurde er geschlagen. Der Elefant konnte weder verhindern, dass er sich gelegentlich bewegte, noch konnte er irgendwann den Schmerz länger ertragen. Eines Tages entwickelte er aus diesem Dilemma heraus eine unbändige Kraft, riss sich los, floh in den Wald und wurde nie mehr gefunden. Der Elefant aber hatte schreckliche Angst, dass die Elefantentreiber ihn aufspüren könnten. Sooft ein Blatt raschelte oder eine Maus sich bewegte, erschrak er furchtbar. Ein Baumgeist hatte den Elefanten schon seit längerer Zeit beobachtet, und er tat ihm leid. Eines Tages rief er dem Elefanten, der zu Tode erschrocken war, zu, dass er Angst vor etwas habe, was gar nicht existiere. Er zeigte dem Elefanten die Wirklichkeit. In diesem Wald gab es keine grausamen Elefantentreiber, sondern es war ein friedlicher Ort mit Bewohnern, vor denen man sich nicht fürchten musste. Erst jetzt verstand der Elefant, dass er vor einem Phantom Angst gehabt hatte. Die Wirklichkeit war anders! Das half ihm, sich von seiner Angst zu befreien, und er lebte fortan glücklich und zufrieden in dem Wald.

Was halten Sie von therapeutischer Hilfe?

Ich finde die Elefantengeschichte wunderschön, gerade auch in unserer durchtherapierten Szene, wo man denkt, man muss immer wieder in die Vergangenheit gehen, um schließlich alles aufzulösen. Oft geht es aber mehr darum, hierher zu kommen. Egal, was war, wir können nicht mehr ändern was passiert ist, und noch als Angst in den Knochen sitzt. Aber wir können uns jederzeit umschauen und fragen, ob das Angstmachende jetzt wirklich da ist. Und wenn man Angst hat, dass es wiederkommen könnte, ist es sinnvoll mit der Angst zu warten, bis diese Situation wirklich da ist. Denn sonst verschwendet man seine Energien und verdirbt sich den momentan vielleicht glücklichen Augenblick.

Sie sind homöopathische Ärztin. Wie entstehen Ihrer Meinung nach Krankheiten? Was ist mit Schuldgefühlen und der Karma-Theorie?

Man muss da sehr vorsichtig sein, denn mit der Schuldzuweisung und mit dem Karma ist es so eine Sache. Wer kann schon in das Schicksal eines anderen Menschen blicken! Genauso ist es mit dem schnellen Parat-Halten psychologischer Gründe für eine Krankheit. Das macht den Menschen nur noch mehr Kummer. Krankheit ist ein multifaktorelles Geschehen. In den meisten Fällen ist es zu komplex, als dass wir das mit unserem Verstand so einfach erfassen und auflösen könnten. Auch Heilige wie Ramakrishna und Ramana Maharshi hatten beispielsweise Krebs.

Da heißt es dann oft, solche Meister hätten das Karma ihrer Schüler auf sich genommen und müssten deshalb leiden …

Dazu kann ich nichts sagen, weil ich es nicht weiß. Körper sind Körper, und irgendwann müssen sie sich wieder auflösen. An irgendetwas muss man ja sterben.

Aber warum bekommen die einen gerade Krebs, die anderen einen Herzinfarkt usw. Sehen Sie da keinen Zusammenhang bzw. eine Logik hinter der Krankheit?

Der Körper ist ein lebendiges und wunderbares Wesen. Ich habe Menschen mit viel Liebe, Tiefgang und einem gesunden Lebenswandel erlebt, die scheußliche Krankheiten bekamen und viel leiden mussten. Und es gibt miese Typen, die gesund bleiben und sehr alt werden. Ich finde, dass wir auf der Seite der Weisheit sind, wenn wir im Nichtwissen bleiben, akzeptieren was ist und nicht wild über etwas spekulieren, was wir nicht wissen können. Dazu fällt mir das Wort Ehrfurcht ein. Wir sollten Ehrfurcht haben vor dem Leben, so wie es kommt und geht. Was z. B. für den Einzelnen in bestimmten Situationen an Gewinn in der Krankheit ist, was man daraus lernen könnte, ist ja auch zu bedenken. Was zu bearbeiten ist, zeigt sich manchmal in der Situation der Krankheit, manchmal auch nicht.

Manche spirituelle Lehrer sehen das anders …

Meiner Meinung nach tut man Menschen ganz schnell Unrecht, wenn man ihre Krankheit mit einem Fehlverhalten begründen will. Ich habe zu viele Menschen in meiner Praxis erlebt, die durch diese Lehren, die ich ehrlich gesagt dumm finde, zusätzlich zu dem Leiden, das sie körperlich haben, auch noch ein großes seelisches Leiden, tragen müssen. Es ist ja schon schlimm genug, dass sie krank sind. Wenn ich mit derart belasteten Menschen spreche und versuche, ihnen diese Last der Schuld abzunehmen, können viele ganz anders mit ihrer Krankheit umgehen. Sie können die Krankheit oft leichter akzeptieren bzw. sich ihr  hingeben, wenn sie nicht dauernd darüber nachdenken müssen, was sie denn falsch gemacht haben.

Wie geschieht Heilung?

Heil sein heißt, dass Körper, Geist und Seele eine Einheit bilden und optimal zusammenarbeiten. Es hat viel mit glücklich sein zu tun. Ich kann mir vorstellen, dass ein Mensch stirbt und dabei heil ist. Allein die Tatsache, dass ein Körper kaputt geht heißt nicht, dass da kein Heil sein kann. Auch der Tod kann heilsam sein. Aus der Verdrängung der Tatsache, dass wir endliche Wesen sind, entstehen viele Scheinlehren, die noch mehr Verwirrung schaffen. Wir sind zu weit weg von der Natur der Dinge. Es ist was ist, und je besser man das annehmen kann, desto gesünder ist man. Die Menschen mischen sich meiner Meinung nach viel zu sehr in ihre Körper ein, grübeln über richtige Ernährung etc. nach und machen sich damit oft verrückt.
Heil sein heißt auch, frei sein. Frei von Leid, von Anhaftung, von Trennung. Aber, und hier gibt es immer wieder Missverständnis und Illusion: Frei von Leid und Trennung zu sein bedeutet nicht keine Krankheiten des Körpers, keine Schmerzen oder Traurigkeit mehr zu erfahren. Mein Erfahren ist vielmehr, dass Schmerz, auch seelischer Schmerz, stärker empfunden wird, aber es gibt keinen Widerstand dagegen, keinen Kampf, keinen Zorn, und zu gleicher Zeit sind Frieden, Stille, Raum, sogar eine feine, köstliche Freude vollkommen unverändert stets vorhanden.

Und was wäre die richtige Haltung dem Körper gegenüber?

Der Körper funktioniert am besten, wenn man ihn in Ruhe lässt. Er funktioniert auch am besten, wenn man einfach isst, worauf man Lust hat. Einmal abgesehen von Suchtstoffen wie Zigaretten, Kaffee, Schokolade und Alkohol natürlich. Das kann man zwar trotzdem zu sich nehmen, aber mit Verstand. Die ganzen Ernährungsdisziplinen machen alles kompliziert. Der Körper sagt uns was er braucht, nämlich das, worauf er Lust hat. Natürlich muss man bei Krankheiten wie hohem Cholesterinspiegel oder Diabetes Ernährungsregeln befolgen, das ist klar. Ansonsten braucht der Körper viel Bewegung, um gesund zu bleiben. Auch hier gilt: Was Spaß macht, ist gut. Denn dabei fühlt man sich zufrieden. Und Zufriedenheit ist eine Voraussetzung für Gesundheit. Solange alles funktioniert, ist es in Ordnung. Wenn dem Körper etwas fehlt, meldet er sich normalerweise durch Schmerz. Das sind dann die Signale, die man beachten muss.

Schlaflosigkeit ist ein Phänomen unserer Zeit. Warum?

Stress, Sorgen und Kummer führen oft zu Schlaflosigkeit. Aber ich glaube, dass unser Gehirn auch generell überlastet ist, trotz seiner Riesenkapazität, die noch gar nicht ausgenützt ist. Doch die Informationsüberflutung durch die Medien, der die wenigsten entgehen können, muss verarbeitet werden. Da empfehle ich Askese: weniger fernsehen, weniger Radio hören, weniger im Internet surfen. Freiwillig die Informationsflut zu begrenzen, sei es auch nur für ein paar Wochen, hilft mit Sicherheit zur Ruhe zu kommen und damit zu einem besseren Schlaf. Und natürlich die Meditation …

Was geschieht eigentlich in Ihren Retreats?

Wir reden, wir schweigen, wir meditieren. Wenn Leute zu mir ins Retreat kommen, die vielleicht noch nie meditiert haben, empfehle ich ihnen einfach das Sitzen, so wie im Zen. Atmen und sitzen. Still sitzen kann Wunder wirken. Wir  machen aber auch die Dynamische Meditation von Osho. Das ist nach wie vor für viele Menschen ein idealer Einstieg. Ich mache viele verschiedene Sachen. Es hängt davon ab, wer da ist. Manchmal habe ich ein Konzept, an das ich mich halte. Manchmal geschehen Dinge spontan. Ich berate die Leute sehr persönlich. Das ist notwendig, denn jeder steht woanders und braucht individuelle Anleitung. Mit Leuten, die schon über Jahre hinweg zu mir kommen, kann ich natürlich intensiver arbeiten. Wenn jemand zum ersten Mal kommt versuche ich – wie ein Arzt auch – herauszufinden, worum es bei diesem Menschen geht, was er braucht. Manche Menschen können nicht stillsitzen, sie würden dabei verkümmern. Ihnen gebe ich z. B. etwas zu tun, man würde das dann Karma-Yoga nennen. Andere brauchen Singen, das entspricht dem Bhakti-Yoga, wieder andere lernen durch theoretische Belehrung, das wäre Jnana-Yoga. Es ist wie gesagt, wirklich sehr verschieden.

Spiritualität und Homöopathie. Gibt es einen Zusammenhang?

Da gefällt  Da gefällt mir sehr gut, was George Vithoulkas, ein weltweit führender Homöopath gesagt hat. Er war eine Zeit lang auch der behandelnde Homöopath von Krishnamurti. Vithoulkas meinte, und das kann ich nachvollziehen, dass die Homöopathie eine wichtige Funktion hat, nämlich das System so weit zu stabilisieren, dass es im Falle der Erleuchtung diese erträgt  und überlebt. Aber mit Homöopathie, die ja sehr stark im Energiekörper wirkt, kann man niemand zur Erleuchtung bringen. Dieser Anspruch wäre zu hoch. In der homöopathischen Anamnese spricht man über alles, dazu kann natürlich auch die spirituelle Suche gehören, und dann würde ich auf dieses Thema eingehen. Aber grundsätzlich halte ich  meine beiden Arbeitsbereiche getrennt. Im Satsang bin ich die spirituelle Lehrerin, in meiner Praxis bin ich Ärztin.

Was bedeutet Glück? Wie hängt es mit Erwachen zusammen?

Ein Merkmal des wahren Glücks ist es, dass es unabhängig ist von allem, was man erfährt. Das hat mit dem Umwandlungspunkt zu tun, der beim Erwachen eine Rolle spielt. In echten Glücksmomenten ist einem der Hintergrund zugänglich. Aber dann schiebt sich schnell die Konditionierung wieder davor, und dann ist es vorbei mit dem Glück.
Die weltliche Bestrebung ist: Wie kann ich diese Glücksmomente möglichst dicht aneinanderreihen, indem ich mir dies und das und jenes gönne, zuführe, habe, vermeide. Da gibt es ein großes Missverständnis. Du denkst z. B. du bist glücklicher, wenn du Unsicherheit vermeidest. Wenn du das aber genau untersuchst – und das kannst du auf deinem Kissen untersuchen – wirst du feststellen, dass dich das nicht wirklich glücklicher macht, sondern dich in einer ständigen Spannung hält und eigentlich unglücklich macht und dass du andererseits selbst mitten in Unsicherheit glücklich sein kannst. Und so ist es mit vielen Sachen – mit der Gier etc., mit den vergänglichen Dingen. Das muss man genauer untersuchen. Es ist nichts falsch dran, aber man muss die Vergänglichkeit darin sehen.

Wir versuchen alle, Glück zu häufen und Unglück zu vermeiden …
Prinzipiell ist das ja auch richtig. Die Frage ist nur, was ein wirkliches kluges Vorgehen ist. Wie komme ich wirklich zu Glück? Brauche ich z. B. die Lebensversicherung, den Partner etc. wirklich für mein Glück. Das muss man untersuchen. Wobei ich das Bestreben glücklich zu sein, absolut unterstütze und das Vermeiden von Unglück. Wir müssen aber die Mechanismen untersuchen und uns fragen: Was führt zu Glück und was zu Unglück? Dann kommt man zu einer gesunden Betrachtungsweise von Karma. Es ist sehr wahrscheinlich, dass wenn ich freundlich und zugewandt bin, daraus gute Früchte entstehen. Es wird zu Glück für mich selbst führen. Wenn ich garstig bin und voller Hass wird das keine guten Früchte für mich tragen. Wenn ich also wirklich anstrebe, glücklich zu sein, muss ich vor allem friedlich sein!

Wie kann man erkennen, was gut und böse ist? Woran soll man sich halten, wenn man das nicht unterscheiden kann?

Dieses theoretische Herangehen halte ich für ein Ausweichmanöver, denn tief im Herzen weiß jeder genau, was heilsam oder freundlich und liebevoll ist.

Sie werden u. a. auch als christliche Mystikerin bezeichnet und haben auch ein Buch über Jesus geschrieben. Alle Religionen geben genaue Anweisungen, wie man Glück erringt und Unglück vermeidet. Wie war das bei Jesus?

Jesus hat das sehr einfach gehalten. Da gab es die Frage von den Pharisäern, die genau diese Fangfrage war, die des ausweichenden kleinen Geistes. Sie fragten ihn, welches Gebot er für das wichtigste halte. Jesus sagt ganz einfach: die Liebe. Und so ist es: Die Liebe zu Gott und die Liebe zu allen Wesen ist ein Maßstab, an dem man sein eigenes Verhalten messen kann. Jeder kann sehr einfach feststellen, ob das was er oder sie gerade sagt, denkt oder tut der Liebe entspricht oder nicht. Deshalb ist der Versuch intellektuell über Gut und Böse zu diskutieren für mich nicht wirklich relevant. Man kann sich selbst nicht wirklich etwas vormachen, wenn man aufrichtig ist. Wenn man auf Dauer glücklich sein will, muss man gute Samen säen. So einfach ist das!

Ganz so einfach ist es für viele vielleicht doch nicht …

Ja vielleicht. Doch das liegt an dem weltlichen und materialistischen Denken, dass den Menschen suggeriert, dass es glücklich macht, sich Vorteile zu verschaffen, nur an den eigenen Gewinn zu denken. Oft geschieht das auf unlautere Weise. Das geht natürlich schief, denn die Basis stimmt nicht. Man muss bereit sein zu geben und auch zu empfangen, beides im richtigen Verhältnis. Das bringt Glück.

Wer kommt eigentlich zu Ihren Satsangs und Retreats?

Das ist eine heterogene Mischung. Es gibt alle Altersstufen, auch Kinder, und selbst Hunde kommen mit. Es gibt unterschiedliche Bildungsgrade und Berufe sowie auch eine unterschiedliche spirituelle Herkunft. Es kommen Leute aus der christlichen und buddhistischen Tradition, aus der Sannyasin-Szene und auch Leute, die ganz neu auf der Suche sind und noch keine Erfahrungen gemacht haben.

Haben Sie auch manchmal Schwankungen oder sind Sie immer ganz in Ihrer Mitte?

Ja, natürlich. Ich merke genau wie jeder andere, dass z. B. Stress, zu viel Arbeit mir nicht gut tut. Ich bin dann nicht mehr so präsent. Und dann ist es an der Zeit eine Auszeit zu nehmen. Am besten lässt man für eine Weile alles hinter sich. Es muss nicht eine riesige Urlaubsreise sein, ein Wochenende in den Bergen tut es vielleicht auch schon. Mein Geheimrezept ist die Natur. Dort kann ich mich wunderbar entspannen und regenerieren und dadurch wieder in meine Mitte kommen, wieder im Hier und Jetzt präsent sein.

Was verstehen Sie unter Mystik?

Ich verstehe darunter das menschliche Erfahren in einer sehr geheimen Kammer unseres Herzens. Einerseits ist sie geheim, weil man nicht wirklich darüber sprechen kann. Und andererseits ist sie überhaupt nicht geheim, weil sie allen offen steht. Mystiker wie Meister Eckart, Johannes Tauler und Therese von Avila berichten ja über diese Erfahrungen. Es ist eine sehr intime Sache.

Wie findet man diese Kammer im Herzen?

Durch Hingabe und durch Praxis. Die Praxis wird heute oft vernachlässigt. Egal, was man macht, ob man meditiert oder betet: Wichtig ist, dass man sich täglich Zeit dafür nimmt. Man muss der religiösen Praxis Raum geben. Wie sonst soll man Gott finden oder Erleuchtung erfahren, wenn man sich nicht voller Hingabe damit beschäftigt? Wenn ich der Suche nach Gott nur ein Zehntel der Aufmerksamkeit widme wie dem Geldverdienen, kann das ja kaum funktionieren. Acht Stunden arbeitet man, acht Stunden schläft man, dann hätte man also noch acht Stunden übrig. Davon sollte man zumindest eine Stunde der spirituellen Praxis widmen. Das ist natürlich auch zu wenig, aber die meisten nehmen sich nicht einmal diese eine Stunde. Wie will man da große Resultate erwarten?  Es ist im Grunde eine einfache Rechnung: Wo nichts investiert wird, gibt es auch keinen Gewinn. Das muss man sich klarmachen und dann seine Entscheidung treffen. Ein wahrer spiritueller Sucher ist nicht der, der ständig über das Spirituelle redet, sondern ein Mensch, der sich auf den Weg macht und dann auch wirklich dranbleibt. Fünfmal pro Woche eine halbe Stunde meditieren und dann die totale Glückseligkeit zu erwarten – das funktioniert nicht. Deshalb ist die regelmäßige, tägliche Praxis entscheidend. So gesehen gibt es gar nicht so viele Sucher, aber viele, die über die Suche reden. Oft jahrelang, ohne dass sich wirklich etwas tut. Wenn man aber vom Sucher zum Finder wird, dann hat sich etwas verändert. Und darum geht es.

Wie viel Zeit sollte man sich für die spirituelle Praxis nehmen?

Seit kurzer Zeit werden wissenschaftliche hirnphysiologische Untersuchungen bei Menschen durchgeführt, die sehr viel meditieren. Die Testpersonen sind alle Mönche, die in ihrem Leben 60 000 Stunden meditiert haben! Wenn man das z. B. auf 30 Jahre umrechnet, wären das pro Tag ca. fünf Stunden. Soviel übt auch jeder  Sportler oder Musiker, wenn er Erfolg haben will. Und niemand wundert sich darüber! Nur im Geistigen denkt man, es kommt alles ganz von selbst. Fünfmal pro Woche eine halbe Stunde meditieren und dann die totale Glückseligkeit zu erwarten – das funktioniert einfach nicht! Diese Untersuchungen sind z. T. auf die „Mind and Life“ -Konferenzen zurückzuführen, bei denen sich Wissenschaftler mit dem Dalai Lama treffen, um z. B. den Einfluss der Meditation nachzuweisen. Ich halte es für sehr wichtig, dass Spiritualität und Wissenschaft zusammenkommen.

Wie definieren Sie das Ego, das ja bekanntermaßen einer spirituellen Entwicklung im Wege steht, und welche Rolle spielt dabei das Loslassen?

Ego ist ein Begriff, den ich eigentlich kaum noch benütze, weil er unklar definiert ist bzw. in einem sehr unterschiedlichen Kontext gebraucht wird und verschiedene Leute etwas Verschiedenes darunter verstehen. Was das Loslassen angeht: Das halte ich prinzipiell für richtig. Aber da muss man vorsichtig sein, das darf man nicht verallgemeinern. Manchmal geht es auch darum, etwas festzuhalten. Es gibt auch Leute, die das Weglaufen vor einer schwierigen Situation als spirituell deklarieren, während es im Grunde nur ein Ausweichen ist, ein sich nicht konfrontieren wollen mit dem was ist. Da ist dann das Ego wieder zur Hintertür hereingekommen.
Ich spreche oft vom großen Geist und vom kleinen Geist. Der große Geist ist die ursprüngliche Natur des Geistes: weit, klar und unbegrenzt. Die Tibeter sprechen in diesem Zusammenhang von „Rigpa“. Der kleine Geist ist der, der nicht verstanden hat, was Glück eigentlich ist. Ego ist der Geist, der glücklich sein will, aber nicht kapiert hat, wie es geht. Ein Egoist, dessen Geist sich immer nur um sein eigenes Ich dreht, ist nicht glücklich, und er macht auch andere nicht glücklich. Aber es gibt natürlich auch ein gesundes Ego: eine Kraft, die einen Menschen zusammenhält. Man könnte das auch Wesenheit oder Individualität nennen, aber es geht ja um die Fakten und nicht um die Begriffe.
In der Mystik heißt es: Gott bzw. das Göttliche in mir  muss wachsen und das Ich muss weniger werden. Das halte ich für einen guten Ansatz. Man soll immer prüfen, ob man durch sein Tun dem Göttlichen dient oder dem kleinen Ich, dem kleinen Geist. Doch es gibt natürlich auch Situationen, wo man sich wehren muss, weil man sonst in seiner Substanz angegriffen wird. Allerdings muss man selbst herausfinden, wann genau dies der Fall ist. Dazu diese kleine Buddha-Geschichte:

Die Geschichte vom Judasbaum  – auf die innere Stimme hören

In einem früheren Leben war Buddha eine wunderschöne Gans mit goldenem Schnabel. Diese Gans flog immer von ihrem Schlafplatz zu einem See, den sie sehr gerne mochte. Auf dem Rückweg hat sie stets auf einem besonderen Baum, genannt Judasbaum, Pause gemacht und sich ausgeruht. In diesem Baum wohnte auch ein Baumgeist und die beiden freundeten sich an. Auch eine Ente wohnte in der Nähe und hielt im Judasbaum ihren Mittagsschlaf. Und sie kackte auch öfters mal auf diesen Baum. Eines Tages war in ihrem Kot der Same eines Banja-Baums, dessen Keimling in einer Astgabel des Judasbaums aufging. Als die Gans, die ja in einer früheren Inkarnation Buddha war, dies sah, warnte sie den Baumgeist und sagte, er müsse den Keimling ausreißen, da er ihn sonst zerstören würde. Doch der Judasbaum glaubte der Gans nicht, obwohl sie ihn noch oft davor warnte, dass ‚Banja-Bäume groß und kräftig werden und andere Bäume zerstören. Der gute Judasbaumgeist nahm die Warnungen nicht ernst, glaubte, dass es sich vielleicht sogar um eine Prüfung hinsichtlich seiner Fürsorglichkeit handle, und ließ den Keimling wachsen.  Doch die Gans ließ nicht locker und warnte den Judasbaum täglich vergeblich. Eines Tages aber kündigte sie dem Baumgeist ihre Freundschaft, da sie sah, dass er nicht handeln würde. Ein paar Jahre später hatte sich die Prophezeiung der Gans erfüllt: Der Banja-Baum hatte sich enorm vergrößert und der Judasbaumgeist war immer  kleiner geworden, bis er schließlich starb. Kurz vor seinem Tod hörte man ihn die Worte murmeln: Wer dich zerstört, den halte dir vom Leib. Hätte er auf die Gans gehört, wäre ihm diese Erfahrung erspart geblieben.

Glauben Sie an göttliche Führung? Und wie ist es mit dem freien Willen?

Jeder von uns ist Teil dieses Lebens, und das Leben selbst braucht unseren Willen. Wir sind also dazu aufgefordert, unseren Willen anzuwenden. Wichtig ist aber, dass unser Wille im Einklang mit dem Göttlichen steht, so wie es im Vaterunser in den Worten „Herr, dein Willen geschehe, wie im Himmel also auch auf Erden“, ausgedrückt ist.
Es gibt Dinge, die wir ganz klar entscheiden und dann erleben wir die Folgen unserer eigenen Entscheidung. Aber es gibt auch Dinge, die wir nicht entscheiden können. Es gibt Situationen, in denen unser Wille gefragt ist und wir nicht kneifen sollten. Und es gibt Dinge, wo unser Wille überhaupt nicht gefragt ist.

Woher weiß man denn, wann man handeln soll und wann nicht?

Das ist einfacher als man denkt. Wenn ich z. B. vor einer Speisekarte sitze, muss ich mich entscheiden. Das Leben tut das in diesem Fall nicht für mich. Aber es gibt Situationen, wo das eben nicht der Fall ist, z. B. bei Krankheiten oder wenn man ungewollt ein Kind bekommt usw. In beiden Situationen steckt eine Lektion. In der, wo wir gefragt sind zu entscheiden, und auch in der wo für uns entschieden wird, wo wir nicht gefragt werden. Man muss eben die Lektion in der jeweiligen Situation verstehen. Das bedarf einer gewissen Anstrengung und inneren Arbeit.

Und wie ist es bei Ihnen? Wohin geht Ihre Reise?

Keine Ahnung! Ich treffe Entscheidungen, ich erlebe was daraus resultiert, und ich genieße die Reise. Aber ich weiß nicht, wohin es letztendlich geht. Ich bin da sehr pragmatisch. Natürlich habe ich Vorstellungen darüber, was ich in zehn Jahren mache, mit wem und wo ich wohne. Da bin ich sehr konkret. Aber ich weiß nicht, ob es so sein wird. Und ich lasse mich da überraschen.

Vielen Dank für dieses Interview!

© Marianne Scherer

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