Gier und Aggression
Gier und Aggression
Artikel für Nordstern 11/03
Wie gehe ich mit Situationen oder Menschen um, die von Gier und Aggression geprägt sind?
Krieg bedeutet die Welt und die Menschen als Objekte der Begierde oder Objekte der Ablehnung zu sehen. Frieden bedeutet zu sehen und zu leben, dass nichts existieren kann ohne alles andere. Buddha sagt: „Dies ist, weil das ist und dies ist nicht, weil das nicht ist“. Dann ist es nicht mehr nötig die Welt in Begehrtes und Abgelehntes zu unterteilen. Dann gibt es keine Feinde mehr.
Frieden bedeutet jedoch nicht, dass immer Einigkeit oder immerwährende Harmonie bestünde, oder dass das sich Auseinandersetzen nicht mehr nötig wäre. Es kann in diesem Frieden durchaus Auseinandersetzung, unterschiedliche Haltungen und Meinungen, auch Konflikt geben, aber keine Gewalt, und keine Feindschaft.
Dieses Thema bewegt mein Herz gerade in den letzten Wochen. Anlass waren Freunde, die einen Hof erworben haben, der in den letzten 20 Jahren eine sehr gewaltsame Geschichte erlebte: Selbstmord, Tierquälerei und anderes waren dort geschehen. Und es stellte sich die Frage wie mit der Verletzung dieses Platzes und der Wesen dort umzugehen sei.
Der erste Impuls ist natürlich: „wir heilen diesen Platz“. Man will all das Übel loswerden, will Harmonie. Das geht jedoch nicht an die Wurzel des Leidens, sondern begünstigt eher eigenes Vermeiden oder Nicht-Hinsehen. Große Achtsamkeit ist hier vonnöten, denn sehr schnell sind wir die Reinen, die Heiligen, die das Ungute, Böse beseitigen. Damit stellt man sich bereits wieder auf eine Seite und bekämpft die andere und letztendlich ist das bereits wieder Gewalt.
Immer wenn wir Phänomenen wie Gier, Gewalt, Krieg, Aggression begegnen, ist es von fundamentaler Wichtigkeit, in Meditation, in Stille und Offenheit diesen destruktiven Kräften im Innen genauso wie im Außen zu begegnen. Um wirklichen Frieden zu schaffen ist es notwendig, der eventuell vorhandenen Gewalt oder Gier im eigenen Innen zu begegnen und sich damit zu umarmen und anzunehmen. Sei es, dass die eigene Gewalt oder Gier als Täter oder als Opfer erlebt wird. Auf diese Weise geschieht zunächst Frieden in uns selbst und gleichzeitig tiefes Verstehen des Leidens, das zu Gier und Gewalt führt und des Leidens, das daraus erwächst. Nur durch stilles Beobachten, durch Umarmen im eigenen Herzen und tiefes Verstehen ist echte Transformation möglich. Alle drei sind dafür notwendig. Dies gilt für Gewalt und Ärger genauso wie für Gier, Neid oder Stolz. In dieser Begegnung, Umarmung und Verstehen werden sich tiefere Schichten zeigen – Angst, Unsicherheit, Unwert, Schuld – und auch all dem muss begegnet werden. Dann erst in einer tiefen Friedlichkeit im eigenen Herzen stehend ist auch Verstehen des anderen, Verstehen des Leidens, das hinter der Gewalt oder Gier des anderen steht, möglich. So wird Begegnen möglich, Umarmen möglich und dann vielleicht auch Verstehen auf Seiten des anderen Menschen. Mit viel viel Achtsamkeit und Wachheit kommt es so zu einer tiefen Heilung, einer Heilung, die nicht nur oberflächliches Pflaster über einer tiefen Wunde ist, sondern Heilung aus der tiefsten Bereitschaft heraus zu fühlen und nicht davon zu laufen, und Heilung aus dem Erkennen der Buddha-Natur in allen Wesen – in Tätern und in Opfern gleichermaßen.