Geschenk der Leere

Geschenk der Leere

Geschenk der Leere

Was macht für dich die Qualität eines erwachten Lebens aus?

Leichtigkeit kommt mir als Erstes. Die Gegebenheiten, Umstände und täglichen Abläufe sind dieselben. Es regnet, die Sonne scheint. Arbeit, Freizeit… Sehr lange hatte ich das Missverständnis, ein erwachtes Leben sei ein abgehobenes Leben, ein nicht ganz da sein, schwebend in seligen Gefilden, abgeschirmt von den Unbillen der Welt. Aber diese Vorstellung war auch irgendwie langweilig. Die Realität ist eine ganz andere: Gar nicht langweilig oder abgehoben, sondern einfach ganz da und sehr lebendig – unabhängig von irgendwelchen Umständen. Der Unterschied ist Okayness. Der Unterschied ist Sein in dieser Form, aber ungetrennt von überfließender Leere und dem Frieden, der ich bin. Da ist die direkte Wahrnehmung von dem, was ist in dem Moment ohne Filter nach außen oder nach innen. Buddha nennt das die Soheit der Dinge. Oft wird von der Illusion der Welt gesprochen, aber wir dürfen die Soheit der Dinge nicht vergessen, die Nacktheit der Erscheinung der Phänomene. Die Soheit der Dinge in jedem Moment wahrzunehmen und ihnen zu begegnen ist wichtig, um zu vermeiden, dass Satsang zu einem neuen Fluchtpunkt wird, einer neuen Form der Vermeidung: Nur durch die Wahrnehmung der Soheit der Dinge, ungeschminkt, so wie sie sind – sei es etwas Materielles oder etwas Emotionales oder auch etwas Mentales – ist die Substanzlosigkeit, die letztendliche Leere in allem überhaupt erkennbar. Nicht, indem ich von vorneherein sage: Das ist ja sowieso alles nichts, alles Illusion“, sondern genau in der tiefen, ganzen, rücksichtslosen Begegnung.

Gehört die Bereitschaft allem zu begegnen auch zur Qualität eines erwachten Lebens?

Ja, die Bereitschaft, in jedem Moment ganz da zu sein und dem zu begegnen, was auch immer zu begegnen ist. Klar. Das ist immer. Warum auch nicht? Frieden und stille Freude werden durch die Begegnung mit was auch immer nicht verändert. Es gibt überhaupt keinen Grund, irgend etwas zu vermeiden.

Dann lässt sich Satsang vom Alltag nicht trennen?

Genau. Aber leider wird das oft gemacht -,,Sonntags-Satsang“: Für diese zwei Stunden oder für dieses Wochenende bist du im Satsang – und dann fängt der Alltag wieder an. Das ist ein Missverständnis! Es mindert natürlich nicht den Wert dieser Zeit im Satsang. Aber was hilft es dir, wenn du es hinterher nicht ins Leben dringen lässt?

Aber im Satsang wird Stille und Glückseligkeit oft sehr intensiv erfahren, im Alltag nicht.

Da ist die Verwechslung zwischen der Erfahrung und Sein, der Erfahrung und Realität. Sein, Wahrheit ist nicht abhängig von irgendeiner Erfahrung. Wenn ich aber Wahrheit, Sein, Stille mit einer bestimmten Erfahrung verknüpfe, einer glückseligen, einer stillen Erfahrung, dann bekomme ich ein Problem, denn die Erfahrung eines stillen oder eines glückseligen Gefühls kann nicht bleiben. Das war auch mein Missverständnis, nur andersherum. Viele Jahre war für mich die Leere verknüpft mit der Erfahrung von Ode und Schrecklichkeit. Genau diese Verknüpfung hat mich gehindert, wirklich in der Leere zu verschwinden. Die häufigere Erfahrung ist wohl die von Glückseligkeit im Zusammenhang mit Leere. Und dann passiert einfach nur das Umgekehrte: Du willst wieder zurück zur Glückseligkeit. Der Wunsch – die Ablehnung. Ja, es ist dasselbe, nur die andere Seite der Medaille. Du willst zurück zur Glückseligkeit, aber du vergisst dabei die Leere, die völlig unabhängig von irgend einer Art von Erfahrung ist. Es ist egal, ob du eine Erfahrung als schrecklich ablehnst oder ob du sie als glückselig erlebst und ihr hinterherläufst. In Wirklichkeit ist einfach nur die überfließende Leere in allem zu entdecken, ohne die Notwendigkeit einer Erfahrung. In mir war während der ganzen Zeit meiner Suche Frustration.

Wie kann man damit umgehen?

Frustration? Was sagt sie? Nicht du, sondern die Frustration spricht da: ,,Jetzt habe ich mich so angestrengt, und nichts ist passiert.“ Jedenfalls nicht das, was ich gerne hätte, was passieren soll. Richtig. Aber was soll eigentlich passieren? Das sollte man genauer untersuchen: Was will ich wirklich? Das ist die wesentliche Frage! Was ist der letzte Wunsch? Und ein Gefühl ist auch dabei: Ein Sehnen, Drängen – mit einem Anteil von Blockiertsein, dem Gefühl einer verschlossenen Tür. Das Wesentliche daran ist das Sehnen. Wenn du dieses Sehnen oder diese Frustration nicht vermeidest, sondern empfindest und wachsen lässt, führt sie dich heim. Das Empfinden von Frustration zeigt, dass Feuer da ist und darauf wartet, genährt zu werden, zu brennen und nicht mehr zu fragen, wie lange es dauert. Du bist der Brennstoff, und die Sehnsucht ist das Feuer.

Sind Trennung, Welt und Leiden denn vollkommen unwirklich?

So lange man glaubt, jemand zu sein, existieren Zeit und Raum, Leiden und Trennung ganz deutlich in der Erfahrung dieses Jemand. Das können wir nicht einfach wegreden oder weg-denken. Die Erfahrung ist erst einmal die von Ziel, Herkunft, Bedingtheit, Geburt, Sterben. Das ist ganz greifbar und ,,real“ die menschliche Erfahrung. Deshalb macht es auch Sinn, die Sehnsucht nach letztendlicher Befreiung überhaupt wahrzunehmen und zu nähren. „Trennung, Welt, Leiden, das Ich sind unwirklich“, sind Aussagen, die von Meistern aus der letztendlichen Realität heraus getroffen werden. Die letztendliche Wahrheit wird gesprochen – soweit sie sprechbar ist -, um zu ermöglichen, dass Menschen, die sich in der Erfahrung von Jemand, von Trennung, von Leiden befinden, in das eigentliche Sein eintauchen und Befreiung finden können.

Was passiert nach diesem ,,Eintauchen“, nach diesem ersten Erkennen der Wahrheit? In deinem Buch hast du gesagt „Jetzt geht der Tanz erst richtig los“.

Aus der Wahrheit, die sich als unerschütterlich, unbezweifelbar – als Sein, nicht als Erfahrung – offenbart, werden Dinge sichtbar, die vorher irgendwo im Keller verborgen waren, unterdrückt und noch nicht bereit, gesehen oder erlebt zu werden. In diesem Raum von Stille erscheinen erst einmal alle die Dinge, die bisher keinen Raum hatten. Dann habe ich die Wahl zu sagen: „Oh, ich hätte aber gerne diesen Raum von Stille wieder pur“ oder: “Aha, diese Dinge tauchen jetzt auf. Schauen wir sie an. Lass sie uns erleben. Dann schauen wir, was übrig bleibt.“ Das ist der Tanz, der ziemlich heftig sein kann: Erfahrungen, Gefühle, Programme, Konditionierungen, Gedanken tauchen auf, die sich anhaften oder du haftest dich an sie an. In dem Erleben und in der Bereitschaft, ihnen voll zu begegnen und still dabei zu bleiben, lösen sich diese Anhaftungen. Ich habe es auch erlebt als Ausgeliefertsein. Es ist, als ob der unerschütterliche Friede, die überfließende Leere alles auffrisst, was du bisher als dich betrachtest hast. Da bleibt nichts übrig von dem, was man dachte zu sein. –