Absicht und Absichtslosigkeit

Absicht und Absichtslosigkeit

Absicht und Absichtslosigkeit

„Lasse eine Absicht alles durchdringen“              Atisha

Handeln in Absichtslosigkeit ist rechtes Handeln. Das heißt wenn ich einfach aus dem Moment heraus, aus der Verantwortlichkeit meines Wesens dem Moment, der Situation und den Gegebenheiten gegenüber handle ohne damit eine bestimmte Absicht zu verknüpfen, ohne ein bestimmtes Ergebnis zu erwarten und ohne einen Gewinn für mich zu erhoffen, dann ist mein Handeln frei. Das ist Nishkarma, freies Handeln, Handeln, das kein Karma erzeugt. Osho sagte immer wieder „Buddhas hinterlassen keine Fußspuren“. Ja, sie handeln wohl, sie handeln aus Freiheit und Verantwortlichkeit, handeln aus Stille, Frieden und Mitgefühl, und hinterlassen doch keine Spuren.

Absichtslosigkeit im Handeln ist dem kleinen Geist zunächst natürlich fremd, denn er denkt viel in Begriffen von Wollen, von Ziel, von Ergebnis, von Erfolg oder Nicht-Erfolg. Diese Art des Denkens des kleinen Geistes ist eine der Bastionen, die das Ego und die Dualität ständig aufrechtzuerhalten versuchen. Dieses kleingeistige Denken hilft dabei sich ständig um sich selbst zu drehen, um die eigenen Wünsche, Ziele oder Absichten. Was die Absicht oder der Wille der Existenz oder Gottes ist, wird dann selten gefragt.

Im Sommer-Retreat sprach ich über Atishas Geistestraining. Tonglen, eine Praxis des Mitgefühls, ist in diesem Text zentrales Thema. Osho nannte es „Atisha’s Heart“. Die Praxis in Kürze: Wenn mir Schmerz begegnet oder anderes Unangenehmes, dann atme ich diesen Schmerz ein und atme alles, was an Freude, an Frieden, an Glück in mir ist, aus. Wichtig ist diese Praxis mit sich selbst zu beginnen. Dann kann man auch den Schmerz anderer Wesen einatmen und Freude, Stille, Liebe zu ihnen hin ausatmen. Einige Teilnehmer waren verblüfft zu hören, dass Absichtslosigkeit sogar hierbei notwendig und möglich ist. Notwendig, weil sich sonst der Gedanke einschleicht – „Geht’s dem jetzt schon besser?“ Absichtslosigkeit macht diese Praxis weit – so weit wie unser Herz in Wahrheit ist.

Gleichzeitig sagt Atisha: „lasse eine Absicht alles durchdringen“. Das klingt paradox, oder? Dieses Paradoxon ist wunderschön und so wahr. Atisha spricht unsere Einsgerichtetheit an. Worum geht es in meinem Leben? Was ist meine tiefste Motivation? Die Intention, die Ausrichtung, die Treue ist gebündelt, ist wie ein Pfeil, den man ausrichtet. Deswegen weiß man trotzdem nichts vom Ziel – Nicht-Wissen und immer am Anfang stehen sind sogar Teil und Grundlage der Ausrichtung des Pfeils. Wenn du diese eine Absicht entdeckt hast, dann lass sie alles durchdringen – dein ganzes Leben. Was auch immer passiert, lass es durchdrungen sein von dem Einen. Und da gibt es keine Ausnahme, kein „ja, aber“. Diese eine Absicht, von der Atisha spricht, ist die Ausrichtung auf die Wahrheit, ist die Liebe zum Göttlichen, ist Gebet ohne Worte. Wenn wir unser ganzes Leben darauf ausrichten, in dieser einzigen Absicht leben, wenn wir unser ganzes Leben, unser Handeln und unser Nicht-Handeln zu Gebet werden lassen – was für eine Schönheit! Was für ein wundervoller Tanz ist dann möglich! Ein Tanz zum Rhythmus der ungeschlagenen Trommel, wie Kabir sagt. Ein Tanz ohne Tänzer, Freude über Freude. In dieser Einsgerichtetheit und Hingabe verschwindet jede Absicht, verschwindet alles Trennende, verschwindet Ich. Die unendliche nie auszulotende Kostbarkeit bleibt. Liebe und Freude bleiben. Und die ganze Existenz begegnet uns jenseits von Begegnung. Jeder Zweig im Nebel, eine Amsel, jedes Wesen, jeder Stein offenbaren uns in diesem Gebet alle Kostbarkeit der Buddhanatur – strahlen, sind präsent wie nie zuvor. Welch ein Genuss in dieser Präsenz und absichtslosen alles-durchdringeden Absicht zu leben. Und wieder neue Dankbarkeit, tiefere Hingabe.