ich aber sage euch

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Artikel für Wegweiser

„Ich aber sage euch…“

Sehr viele Menschen kennen aus der Bergpredigt vor allem die so genannten Seligpreisungen. „Selig sind die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich“ usw. Die Bergpredigt ist jedoch viel länger. Ein großer Teil dieses Sutra von Jesus handelt davon, wie wir über das Alte hinausgehen können. Er gibt Hinweise wie Transformation möglich ist, wie diese wahre Alchemie praktiziert werden kann, die uns von der Verblendung zur Wahrheit, vom Hass zur Liebe, von der Illusion zur Klarheit bringt.

Jesus stellt in diesem Teil der Bergpredigt den Unterschied zwischen dem „Gesetz“ und der Liebe stets in den Vordergrund. Er zitiert das Gesetz des Mose und fährt dann fort mit: „Ich aber sage euch…“ All diese Stellen berühren mich immer wieder zutiefst. Er fordert uns auf über die Enge des Alten hinauszugehen und es zu wagen wirklich und zutiefst aus Liebe und Wahrheit zu handeln. Das Gesetz ist zwar notwendig, da wir Menschen zu großen Teilen im kleinen Geist und im Ego verhaftet sind. Deshalb leugnet Jesus das Gesetz nie, er sagt vielmehr: „Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen. Ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.“ (Mt 5,17) Jesus stellt sich nicht gegen die Vergangenheit, stellt sich nicht gegen seine Basis, sondern Moses und das Gesetz sind der Boden, auf dem Jesus zunächst einmal steht. Er sagt, er werde nicht die Basis sprengen, sondern es gehe darum, den nächsten Schritt zu machen. Das ist sehr wichtig, denn das ist der Unterschied zwischen dem Gift von Revolution und dem Balsam der Transformation. Transformation geht darüber hinaus und zeigt: Hier geht es weiter! Revolution schaut zurück und zerstört alles Alte, oft ohne eine Idee, was man aus den Trümmern machen könnte. Bei Revolutionen bleiben meist nur Trümmer übrig, kaum aber Kreativität. Transformation dagegen ist sehr kreativ und respektiert die Basis bei aller Offenheit, bei allem geradlinigen Kritisieren und Erneuern und Darüber-Hinausgehen. Und diesen Respekt zeigt Jesus. Aber die Rabbiner und Pharisäer haben das überhaupt nicht gehört! Die israelische oder jüdische Herrscherschicht war der Überzeugung, er würde das Gesetz zerstören. Das mag sich für sie so angefühlt haben, aber er hat ganz klar geäußert: „Ich bin nicht gekommen, das Gesetz aufzulösen, sondern es zu erfüllen und darüber hinauszugehen.“

Ein Beispiel, wie Jesus auffordert, nicht nur oberflächlich im Sinne des Gesetzes zu handeln, sondern das Übel wirklich an der Wurzel zu packen und zu transformieren, ist: „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist: Du sollst nicht töten, wer aber tötet, der soll des Gerichts schuldig sein.“ (Mt 5,21) Ein klares Gesetz: Das darfst du nicht, und wenn du es dennoch tust, passiert jenes. „Ich aber sage euch, wer mit seinem Bruder zürnt, der ist des Gerichts schuldig.“ (Mt 5,22) Jesus setzt hier sehr viel früher an, denn irgendwann tötest du deinen Bruder, aber zuvor hast du ihm schon zehn Jahre lang gezürnt. Er sagt, zürne deinem Bruder erst gar nicht, denn dann wirst du ihn nicht töten. Dann können wir uns das Gesetz sparen, weil wir das Gift im Geist beseitigen. Ja, es ist schon der Gedanke des Zürnens, dann das Gefühl des Zürnens, und zuletzt irgendwann kommt dann vielleicht die Handlung dazu. Das Gesetz greift nur die Handlung. Jesus und alle Buddhas aber schauen nach dem Geist und welche Bewegung im Geist stattfindet! Es geht darum, das Zürnen zu stoppen, bevor es überhaupt anfängt – schon so früh wie möglich inne zu halten, bevor die Welle so richtig in Bewegung kommt.

Ein weiteres Beispiel:

„Ihr habt weiter gehört, dass zu den Alten gesagt ist, du sollst keinen falschen Eid schwören und sollst dem Herrn deinen Eid halten. Ich aber sage euch, dass ihr überhaupt nicht schwören sollt, weder beim Himmel, denn er ist Gottes Thron, noch bei der Erde, denn sie ist der Schemel seiner Füße, noch bei Jerusalem, denn sie ist die Stadt des großen Königs. Auch sollst du nicht bei deinem Haupt schwören, denn du vermagst nicht, ein einziges Haar weiß oder schwarz zu machen. Eure Rede aber sei: Ja, ja, nein, nein. Was darüber ist, das ist von übel.“ (Mt 8, 33-37) Ganz einfach und klar und gerade. Wenn ich Ja sage, sage ich Ja, und wenn ich Nein sage, sage ich Nein. Punkt. Was soll ich da schwören? Versucht, es einfach zu machen, das ist wichtig für das Training des Geistes: Simpel, gerade, entrümpeln. Ja – Nein. Alte Schläuche – weg damit. Kommt zurück in die Gegenwart Gottes! Wisst, es braucht sonst nichts. Und lebt danach, zieht die Konsequenz.

Bei Jesus geht es um die Wissenschaft der Transzendenz und um die Wissenschaft der Alchemie. Jesus würde das nicht Wissenschaft nennen, aber gerade in diesem Sutra der Bergpredigt geht es ständig und nur um „hinübergehen“. Und dieses Hinübergehen erfordert den ganzen Einsatz, erfordert wirklich eure ganze Energie, verlangt euer Leben. Buddhistisch formuliert: Um aus dem Rad des Samsara auszusteigen, muss man alles einsetzen. Das ist es, was all diese verrückten Buddhas gemacht haben! Sie alle haben über eine lange Zeit alles auf eine Karte gesetzt. Atisha zum Beispiel schreibt am Schluss seines Textes: „Indem ich das Karma früherer Übung wachrief und von tiefer Hingabe angetrieben wurde, missachtete ich Unbill und Beschimpfungen und erhielt mündliche Unterweisung über das Auflösen der Ichverhaftung.“

Jesus spricht weiter, wie es uns gelingen kann von der Vergeltung zur Vergebung zu gelangen, vom Hass zur Liebe, vom Engen zum Weiten, von der Verblendung zur Klarheit. Und er spricht nicht nur davon, sondern er lebt es vor und zeigt es seinen Schülern. Das ist sicherlich eine große Spezialität von Jesus. Und ich würde mich freuen, wenn es uns gelänge, unsere Schleier und Verletzungen Jesus betreffend, die durch viele Missverständnisse über die Jahrhunderte entstanden, geheilt werden könnten und wir diesem großen Bodhisattva neu und frisch begegnen könnten. Das war mein Anliegen, als ich das Buch „Hütet das Feuer“ schrieb, und ist mein Anliegen in diesem Artikel.