Die Lilien auf dem Felde

Die Lilien auf dem Felde

Die Lilien auf dem Felde

Jesus ursprüngliche Botschaft ist so einfach. Sie ist erst mal das Zeugnis eines Menschen, der ein Sohn der Menschen und ein Sohn des Göttlichen zugleich ist, und der von beidem zutiefst weiß und aus beidem zutiefst lebt. Jeder Mensch ist das, aber Jesus ist ein Mensch, der zutiefst daraus und darin lebt und spricht, und dem alles andere nebensächlich ist. Er legt Zeugnis ab von der realen Möglichkeit in das Göttliche hinein zu werden. Das ist Geburtstag des Wesentlichen und Todestag des Egos zugleich. Seine Botschaft ist einfach und ist Feuer. Er ist radikal wie alle Buddhas. Wenn ihr zum Beispiel folgende Geschichte wirklich hört und ernst nehmt, spürt ihr dieses Feuer:

„Niemand kann zwei Herren dienen. Entweder, er wird den einen hassen und den anderen lieben oder er wird an dem einen hängen und den anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon. Darum sage ich euch, sorgt euch nicht um euer Leben – was ihr essen und trinken werdet. Auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und nicht der Leib mehr als die Kleidung? Seht die Vögel unter dem Himmel an. Sie sähen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie? Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne hinzusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt. Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen, sie arbeiten nicht, sie spinnen nicht. Ich sage euch, dass auch Salomon in all seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird, wird er das nicht auch für euch tun, ihr Kleingläubigen? Darum sollt ihr euch nicht sorgen und sagen, was werden wir essen, was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft. Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit. So wird euch das alles zufallen. Darum sorgt nicht für morgen, der morgige Tag wird für das seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.“

Wir sind Teil der Existenz in unserer Form und sind Göttlichkeit in unserer Essenz. Wie könnten wir uns da sorgen? Natürlich werden diese Körper kaputt gehen, aber das macht nichts. Sie werden Erde, Apfelbäume und Lilien auf dem Feld. Und so lange der Körper lebt, lebt er. Das Problem ist, dass wir vergessen haben, dass wir in der Existenz zuhause sind. Aufgrund des sich nicht mehr zu Hause Fühlens in der Existenz, aufgrund unserer Entfremdung fingen wir an uns zu sorgen, fingen an zu sichern, zu horten, zu verteidigen. Und dabei einer gegen den anderen zu kämpfen. Gleichzeitig führt uns all das Horten und Sichern, all das Kämpfen in immer tiefere Entfremdung von der Existenz und vom Göttlichen. Deshalb beginnt Jesus dieses Gleichnis mit „Du kannst nicht zwei Herren dienen.“ Hier ist eine Entscheidung angesagt.

Horten ist ja eine eigenartige Angelegenheit, denn die Schätze der Natur, des Planeten werden nicht mehr, sondern sind immer gleich. Die Menge an Kohlenhydraten auf dem Planeten ist immer gleich. Die Menge an Gold, die Menge an Luft, die Menge an Wasser, ist immer gleich. Immer wenn wir versuchen uns selbst etwas für morgen zu sichern und zu horten, dann ist es einfach woanders nicht da. Wir können nicht vermehren. Es gibt kein Wachstum in diesem Sinne.

Die zweite Illusion in diesem Zusammenhang ist eine eigenartige Verknüpfung in unserem Geist zwischen dem was wir tun, was wir arbeiten und der Sicherung des Lebens. Ich kann für mich eine solche Verbindung gar nicht mehr herstellen. Ich kenne es wohl von früher aber damals habe ich mir auch noch Sorgen gemacht. Jetzt ist es so: Ich tue, was ich tue oder was ansteht und was ich erhalte ist Geschenk. Ich habe überhaupt nicht das Gefühl irgendetwas zu verdienen. Ich betrachte alles was ich esse oder was ich anziehe, wo ich wohne, all die Schönheit und all den Reichtum als absolutes Geschenk und überhaupt nicht als Verdienst. Wir können gar nichts verdienen. Wir können schenken und können empfangen und wir können dankbar sein. Wir können entspannen und sehen, es ist alles da. Und was morgen ist weiß ich sowieso nicht. Je mehr wir uns da hinein entspannen, und je mehr wir aufhören zu fordern und anfangen großzügig zu sein, desto besser können wir all diese Geschenke sehen. Wir müssen nichts mehr halten. Wir können es sowieso nicht – niemand kann irgendwas wirklich halten, niemand kann irgendwas wirklich besitzen.

Und das ist die dritte Illusion, die Jesus hier entlarvt. Besitzen definiert sich meiner Meinung nach dadurch, wirklich Macht über etwas zu haben, damit machen zu können was man will und zwar immer. Und es gibt nichts, was ich auf diese Art besitzen könnte, weil mir alles irgendwann zwischen den Fingen zerrinnt. Also kann sowieso niemand etwas besitzen. Besitz ist reine Illusion. Spätestens wenn man stirbt kann man bekanntlich nichts mitnehmen. Dann ist Schluss mit der Macht über alles was ich glaube besessen zu haben, bis hin zu meinem Körper. Und wenn ich es im Tod nicht retten oder halten kann, hat es mir nie gehört.

Nur was bleibt hat Wert. Deshalb sagt Jesus: „Trachte zuerst nach dem Reich Gottes.“ Dieses Reich Gottes ist nicht irgendwo, sondern ist mitten in eurem Herz die ganze Zeit. Das Reich Gottes ist das Göttliche, das überall ausgebreitet ist. Es ist ein unendliches Mysterium, das die Existenz durchwebt, durchdringt, in jedem Moment neu erschafft, und noch weit, weit darüber hinausgeht. Davor und danach und darüber und darunter. Und das Reich Gottes ist nicht zu erschüttern. Wenn wir uns darauf ausrichten, können wir uns nicht sorgen. Und genau das unterscheidet Menschen des Wegs von Menschen, die diesen Weg nicht für sich wählen. Und da spricht Jesus von Heiden. Das ist die wirkliche Unterscheidung, die im Herzen und im Leben geschieht. Religiosität ist keine Frage der Zugehörigkeit zu irgendeiner Organisation, keine Frage von irgendeinem Ritus, keine Frage von Struktur, sondern eine viel, viel tiefere, viel, viel essentiellere Frage.

Wenn wir langsam anfangen uns nicht mehr zu sorgen, dann ist das eine tiefe Umkehr. Du empfindest die Welt, die Existenz nicht mehr als fremd oder feindlich. Da ist nicht mehr „ich und…“, keine Feinde mehr, sondern ein Leben, ein Atem. Und wenn da keine Feinde sind und nichts zu sichern ist, wenn nichts zu horten und nichts zu sorgen ist, dann ist da einfach der Tanz des Lebens, Friedlichkeit und Liebe. Und dann beginnt Gebet, ein Gebet, das nicht bettelt, sondern einfach ist, ein Gebet ohne Worte, ein Gebet der Liebe und Hingabe und Dankbarkeit. Dann ist das Himmelreich genau jetzt. Und auch das nicht als Verdienst für irgendetwas, das wäre ein großes Missverständnis, sondern einfach weil es so ist.

Die Jünger fragten Jesus: „Wo bist du? Wir müssen dich suchen. Wo ist das Reich Gottes? Und wie gelangen wir dahin?“ Das Gleichnis von den Lilien auf dem Felde ist eine seiner Antworten. Es sind ganz simple, einfache Antworten. Jesus ist kein Mann der Technik, sondern ein Mann der Liebe. Und Liebe ist keine Technik, sondern ist einfach – ohne Grenzen.